Der alte Wogerich
Hausaufgabe der Nachtschule März 2001
Fach: Zamonistik
Aufgabe 13: Was sind Blaue Blitze und wie erklären Sie ihre Enstehung ?
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Diese Frage in nur einem Satz zu beantworten, wäre kein Problem, würde aber den Ereignissen in keinster Weise Rechnung tragen. Deshalb werde ich dazu eine kleine Geschichte erzählen.
Einige Zeit bevor ich mich in die Nachtschule begab, sass ich eines Abends im Hafen von Atlantis und genoss das Meer. Wie zufällig gesellte sich eine alte Tratschwelle zu mir. Er war schon sehr alt, was ich ohne grosse Mühe daran sehen konnte, dass er ziemlich trübe war, einen langen Bart aus weisser Gischt trug und sich sehr langsam, fast zähflüssig bewegte. Wir kamen ins Gespräch, naja, eigentlich erzählte er die ganze Zeit, wie es viele Ältere tun, von seinen Zipperlein. Nachdem ich ihm einige Zeit höflich zugehört hatte, wollte ich mich gerade den Krankheitsgeschichten entziehen, als er das Thema wechselte und sehr melancholisch wurde. Was sich zuerst nach einer Geschichte über eine vergangene Liebe anhörte, wurde hinterher sehr spannend und aufschlussreich. Ich schrieb seine Geschichte im Nachhinein auf und möchte sie hier wiedergeben, wie ich sie vernahm.
"Es war vor ungefähr 250 Jahren", fing er an. "Du musst wissen, dass damals einmal alle 10 Jahre ein traditionelles Dekadentreffen aller Tratschwellen Zamoniens und der umgebenden Meere stattfand. Es waren immer sehr schöne Veranstaltungen, auf denen viel erzlt, dikutiert, analysiert, parliert und natürlich getratscht wurde." Dabei liess er seinen Blick über die abendliche See schweifen. „Es wurde gelacht bis die See bebte und ab und zu sogar ein bisschen geraucht."
Mit einem für sein Alter ungewöhnlich schelmischen Glitzern in den Augen holte er seine Wasserpfeife heraus und stopfte sie mit ein paar dunkelblauen, grünlich schimmernden, getrockneten Algen. Nachdem er sie mit eingespielten Handgriffen entzündet hatte, was bei Tratschwellen auf Grund der angeborenen Feuchtigkeit gar nicht so einfach ist, fuhr er fort. „Ja, und wie gesagt, vor ungefähr 250 Jahren, kam ich mit Woganda, meiner einzigen großen Liebe, hier in den Minigolf von Zamonien um an diesem Ereignis teilzuhaben.”



Minigolf von Zamonien, der:
Durch Midgart abgetrennter Teil des → Golf von Zamonien zwischen → Atlantis und den → Östlichen Nattifftoffen.



Er schluckte schwer bei diesem Satz und liess einen tiefen, blubbernden Seufzer ab. Ich bot ihm an, dass er die Geschichte nicht zu erzählen bräuchte, da es ihm augenscheinlich schwer fiele. Aber er winkte ab und sagte, dass sich vergenommen habe diese Geschichte zu erzählen, und dass es seine Tratschwellenehre verböte einfach aufzuhören. Währenddessen sah ich eine kristallklare Träne langsam seine trübe Wange hinunterlaufen. Bis zu der Zeit wusste ich garnicht, dass Tratschwellen weinen können, doch im Nachhinein sah ich keinen Grund, warum sie es nicht können sollten und war tief berührt.
"Es war wie immer sehr schön und wir trafen viele Verwandte und Freunde und hatten eine Memge Spass, bis …" Er holte tief Luft. "Ja, bis diese schreckliche Trgödie im wahrsten Sinne des Wortes über uns hereinbrach. Der Himmel verdunkelte sich auf einen Schlag und urplötzlich kam ein schwerer Sturm auf, wie selbst ich ihn vorher noch nie und auch seit dem nicht mehr erlebt hatte. Wir wurden von dem aufgepeitschten Meer hin und her geworfen und dann geschah das Unbegreifliche …" Ich merkte, wie sich die gesamte Oberfläche der Wellen vor Aufregung leicht kräuselte. Er holte noch einmal tief Luft und kam zu dem Ereignis, das zu erzählen ihm sichtlich schwer fiel. "Eine riesige Flutwelle kam von Südosten und spühlte uns alle tief in die Strassen von Atlantis. Viele konnten mit dem zurückflissenden Wasser wieder unverzüglich ins Meer gelangen und einige retteten sich ich die Kanalisation." Er nahm wieder seinen ganzen Mut zusammen. " Doch einige versuchten sich in Pfützen zu retten und dort bis zum nächsten Regenschauer zu warten, so auch …" Seine Stimme zitterte. "… meine Woganda."
"Ich wollte bei ihr bleiben, aber wurde von den abflissenden Wassermassen zurück in den Ozean gezogen." Wieder legte eine kleine Pause ein und es schien, als durchlebte er die damaligen Gefühle nochmals.
"Das Treffen war im Sommer und unglücklicherweise war es ein sehr heisser, so dass die Pfuetzen und Wasserlachen, die sich in den Strassen gebildet hatten, eine schlecht Wahl waren und binnen weniger Stunden austrockneten." Seine Stimme wurde so leise, dass ich sie nur noch mit grösster Mühe verstehen konnte. "Und mit ihnen die daringefangenen Wellen."
Er zog niedergeschlagen an seiner Pfeife. Mich hatte die ganze Geschichte so gefesselt, dass mir ein erstauntes "Und dann?" rausrutschte, für das ich mich im nächsten Moment schon hätte selbst paddeln können. Doch er schien weder überrascht noch verletzt oder beleidigt zu sein. "Weisst Du, mein Junge", fuhr er fort, "Es ist nicht das vollständige Ende unsereins, wenn wir austrocknen. Die Seele einer Tratschwelle stribt nie, sie bleibt jedoch in der Nähe des Ortes, an dem sie verdunstete und ihre Energie kann unter Umständen sichtbar werden. An Tagen mit besonders hoher Luftfeutigkeit kann man sie als eine Art Blitz wahrnehmen. Du hast doch sicherlich schon von den blauen Blitzen Atlantis gehört?" Ich nickte stumm. "Siehst Du, einer von ihnen ist meine Woganda!" Ich war sprachlos und blickte die alte Wellen aus grossen, mit Tränen gefüllten Augen an und wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Das war aber garnicht so schlimm, da er keine Antwort zu erwarten schien. Danach verbrachten wir den restlichen Abend hauptsächlich schweigend an der Küste.
Seit dem Abend gehe ich habe ich manchmal mit dem Namen "Woganda" im Kopf durch die Strassen Atlantis in der Hoffnung ihr zu begegnen und eventuell eine Reaktion oder eine Nachricht oder auch nur die Idee ihrer Anwesenheit zu bekommen, die ich dann an den alten Wogerich weiterleiten kann.
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11.04.2001